Der verlorene Kampf…

 

 

Es ist schwer den richtigen Anfang, die richtigen Worte zu finden.

Einleitend ist zu erwähnen, dass unsere Kinder in der Landwirtschaft aufwuchsen. Mit allerlei Gefahren, auch technischen Dingen vertraut waren. Bei gewissen Feldarbeiten durften sie unter Aufsicht schon frühzeitig selbstständig Traktor fahren.

Da wir in einem sehr kleinen Ort mit nur 16O Einwohnern leben, weit ab von stark befahrenen Straßen, miserablen öffentlichen Verkehrsanbindungen, keinerlei jugendlicher Dorfaktivitäten, war es logisch, dass Yvonne mich bat den Rollerführerschein  zu machen, um Freunde und Bekannte außerhalb des Ortes zu besuchen. Ich stimmte dem zu, unter der Bedingung auch die Traktorprüfung mit zu machen. Es erschien  mir zu riskant sie auf öffentlichen Straßen, wenn auch wenig befahren, „schwarz“ Traktor fahren zu lassen!

 

Mittlerweile lernte Yvonne ihre wirklich erste große Liebe kennen.

Der Führerschein war nicht mehr so wichtig. Sie wurde zu allerlei Veranstaltungen, auch von ihren Eltern gefahren und abgeholt. Ich wies jeden der sie abholte darauf hin, er möge ja meine Tochter gesund wieder nach hause bringen.

Wie konnte ich ahnen, dass es mit dem Roller passiert!

Erst als die Beziehung beendet war, konzentrierte sie sich wieder voll auf den Führerschein. Sie bestand beide Prüfungen im Juni 2OO4.

Von diesem Zeitpunkt an war Yvonne viel unterwegs. Oft fuhr sie zu Freunden in Nachbarorte, oder mit ihrer Schwester in ein weiter entferntes Schwimmbad. Sie war eine sichere Fahrerin, auch weil sie mehrere Stunden praktisches Fahren auf einem großen Schlepper mit Anhänger hinter sich hatte.

Ich hatte vollstes Vertrauen in sie, auch wenn sie ihre zwei Jahre jüngere Schwester als Sozius mitnahm.

Diese Fahrten zu Freunden, oder den Ferienjob der drei Wochen in den Sommerferien dauerte, führte sie immer über diese verfluchte Kreuzung!

So auch an diesem verdammten 7. September gegen 17.3o.Yvonne hatte nur einen Zettel mit Veranstaltungsterminen dabei. Zum Glück nicht auch noch unsere zweite Tochter Franziska.

Meine Frau Marion war zum Unfallzeitpunkt im Stall, Franziska mit ihrem Opa Heu holen. Ich kam etwas später, gegen 17.3o, von der Arbeit nach Hause und erkundigte mich nach Yvonne.

Marion sagte sie müsse auf ihrem Zimmer sein.

Da war sie nicht!

Ich ging zurück durch den Stall in den Garten und sah kurze Zeit später, etwa 8oo Meter entfernt in Richtung dieser Kreuzung einen Rettungshubschrauber kreisen. Ich dachte noch was da wieder passiert sei.

Fünf Minuten später informierte mich ein Nachbar, dass Yvonne einen schweren Unfall gehabt habe.

Wir rasten zur Unfallstelle.

Von diesem Augenblick an war nichts mehr so wie früher.

Ich stieß Polizisten zur Seite bis ich endlich am Rettungswagen war. Yvonne war nicht mehr ansprechbar. Man ließ uns nicht zu ihr, zog uns in einen Polizeibus.

Ein Notarzt erklärte, es wäre sehr ernst. Schädelbasisbruch, vielleicht zwei. Ich schrie ihn an, was mit inneren Verletzungen sei. Erst jetzt realisierte ich wie weit Yvonne durch die Luft geflogen sein musste.

Der Notarzt erklärte, sie täten ihr Möglichstes, man würde sie jetzt mit dem Helikopter in die Klinik fliegen. Wir hätten etwa zwei Stunden Zeit bis die Not-Op abgeschlossen sei.

 

Marion (meine Frau) stand unter Schock, sie wiederholte immer nur: Sie solle doch überleben……….

Ich war noch weit davon entfernt, an einen möglichen Tod meiner Tochter zu denken.

Verdrängung!

 

Yvonne`s  Körper wurde mit Tüchern abgedeckt, in den Helikopter geschoben und in die Klinik geflogen.

 

Wir fuhren nach Hause. Als Franziska von dem Unglück erfuhr, fing sie fürchterlich an zu schreien und zu weinen. Es könne nicht sein -Yvonne würde immer an der Kreuzung halten und genau schauen.

 

Wie sollten wir diese zwei Stunden überbrücken!

 

Nach etwa einer Stunde, hielt ich es nicht mehr aus. Wir machten wir uns auf den Weg, vorbei an „Der Kreuzung“, vorbei an der Tierklinik ( siehe Rückblick ), ins 4O km entfernte Klinikum.

Auf dem Weg dorthin fragte mich Yvonnes Mutter ständig: Sie wird doch nicht sterben, sterben…..

Ich konnte ihr keine Antwort geben. Ich war immer noch nicht soweit diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen!

In dem Hospital angekommen, empfing uns ein noch recht junger Arzt, mit hängenden Schultern und gesengtem Blick.

Schlagartig wurde mir klar, dass Yvonne TOT war!!!

Der Arzt sagte uns, dass sie zwei mal reanimiert wurde und sehr viel Blut bekommen hatte. Yvonne starb noch während des Fluges auf Grund ihrer starken inneren Verletzungen!

 

Als nach geraumer Zeit eine sehr nette Seelsorgerin eintraf gingen wir mit dem Arzt in den Aufbahrungsraum.

 

Es war erhebend und grausamschön zu gleich!

 

Yvonne lag da, als ob sie schliefe, die Augen geschlossen, den Mund leicht geöffnet, ihr Brilli auf dem Zahn leuchtete uns entgegen. Es um spielte ein Lächeln ihr Gesicht, als ob sie einen schönen Traum  hätte. Sie sah so lebendig aus, so warm, ihr Geruch, alles war so wie immer.

 

Marion sagte nur: „Wach auf, wach auf, Du schläfst doch nur……..“

 

Ich antwortete ständig: „Yvonne ist tot, tot, tot ….. versteh doch!“

 

Ich weiß nicht mehr wie lange wir so da saßen und ihr Gesicht streichelten. Im Nachhinein viel zu kurz. Wir hätten die ganze Nacht bei ihr bleiben  können, dürfen, sollen!

 

Diese Atmosphäre des Abschiednehmens war nur in diesem Raum so ausgeprägt.

Ihr Flair ihre Seele war noch da, füllte den ganzen Raum aus.

Yvonne war uns noch so nah und doch schon so unendlich weit weg!

Warum sind wir nicht geblieben?!

 

Gegen 22.00 beging ich einen meiner größten Fehler. Ich dachte wir müssten unseren Eltern und Franziska die Nachricht überbringen. Dabei  hatten es schon Polizisten, diese Landeier getan, während wir auf der Fahrt ins Krankenhaus waren.

Wieder einmal dachten wir mehr an Andere als an uns.

 

Wir ließen unsere Tochter, Yvonne, allein!

 

Nie werde ich mir diese voreilige Heimfahrt verzeihen!

 

Alle waren sie schon da und wussten Bescheid!!!

 

Diese drei Tage bis zur Beerdigung zogen sich endlos.

 

Der Bestatter brachte Yvonne zu uns nach Hause. Sie sollte noch einmal ihre gewohnte Umgebung, ihre Familie, ihren Hund sehen.

 

Als der Sarg im Hof geöffnet wurde schrie Franziska außer sich: „Yvonne wie siehst Du denn aus, wer hat dir so die Haare gemacht?!“

 

Es war herzzerreißend!

 

Sie lief zurück ins Haus, holte Schminkutensilien, Kamm und Bürste und begann Yvonne zu stylen.

 

Franziska schminkte ihre Schwester, machte ihre Haare, wie sie Yvonne immer trug, mit einer Engelsruhe, sodass selbst der Bestatter, der Yvonne zweifellos toll hergerichtet hatte, mit den Tränen zu kämpfen hatte!

 

So lag sie nun da in ihrem Konfirmationskostüm, die Haare offen, den Mund leicht geöffnet und lächelte. Ich ließ es mir nicht nehmen eine Locke aus Yvonne` Haar zu schneiden.

Anschließend wurde der Sarg in die Leichenhalle gebracht. Yvonne hatte keine sichtbaren Verletzungen, so konnte der Sarg von Freitag bis Samstag kurz vor der Beerdigung offen bleiben .Wir besuchten Yvonne in dieser Zeit oft, Franziska immer mit Schminksachen!

 

Trotz ihres natürlichen Aussehens war Yvonnes Flair nicht mehr der Gleiche, wie in der Aufbahrungshalle des Klinikums……………………………………………………………..

 

 

 

 

Gedenkstätte an der B 276

 

 

 

07.September 2005

 

 

07. September 2006

 

 

Es wird schon wieder…..

Wieder….?

Wieder wie was?

Wieder wie vorher?

Es wird nie wieder wie vorher!

Irgendwann wird es,

aber nicht wie .... wieder.